Du bist besonders: Erzähl deine Geschichte
- Judith Praßer

- 2. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Fakt ist: Jeder Mensch hat ein individuelles Leben, eine eigene Biografie. Fakt ist auch: Menschen lieben Geschichten und das schon seit Jahrtausenden. Von der Lagerfeuer-Erzählung über den Spielfilm bis zum Gaming-Narrativ – die Erlebnisse unserer Helden ziehen uns in den Bann. Also wenn wir Geschichten lieben und jede*r eine Geschichte hat, warum erzählen wir die eigene Geschichte dann nicht so, dass andere sofort von unserer Lebensleistung überzeugt sind. Zumindest fällt es mir oft schwer, obwohl autobiografisches Storytelling gerade im Berufsumfeld wichtig ist. Wie ergeht es euch damit?
Habt ihr auch manchmal das Gefühl, dass ihr zwar auf einen schlüssigen Lebenslauf hingearbeitet habt, aber euch beim Erzählen viele kritische Fragen gestellt werden? Beobachtet ihr auch manchmal, dass andere ihre Sprünge und Lücken im C.V. so souverän in ihre Geschichte integrieren, dass nicht der leiseste Zweifel an einem runden Werdegang aufkommt. Wie machen sie das? Was kann man von ihnen lernen? Ich habe ein paar Beobachtungen angestellt und möchte nun meine Denkanstöße zum gelungenen Storytelling mit euch teilen.
1. Die Storyline: Immer den roten Faden einbauen
Machen wir es kurz: Am Anfang müssen wir uns zumindest einmal die Frage stellen, was eigentlich eine Geschichte ist. Wie unterscheidet sich eine Erzählung von bloßem Gerede? Ohne tief in die Erzähltheorie einzusteigen, halten wir diese Punkte fest:
Eine Erzählung hat einen zeitlichen Verlauf.*
Ihre Geschehnisse bilden am Ende ein großes Ganzes – die sogenannte Kohärenz.**
Bei unseren Lebensgeschichten gibt es natürlich immer einen zeitlichen Verlauf. (Erster Punkt ist abgehakt.) Doch was hat es mit der Kohärenz auf sich? Die Psychologie hat festgestellt, dass beim autobiografischen Erzählen gilt: Je kohärenter die Geschichte, desto glaubwürdiger ist sie und desto wohler fühlt sich der Erzähler in seiner Identität.

Kohärenz kann man als den roten Faden sehen, der sich durch unsere Geschichte zieht. Wenn man das eigene Leben anschaut, fällt es einem nicht immer leicht, diesen roten Faden zu finden. Manchmal gibt es ja auch Zufälle und spontane Entscheidungen. Doch immerhin ist beruhigend, dass auch große Geschichten der Menschheit auf den ersten Blick wie ein wildes Durcheinander wirken: z.B. die Odyssee, die altgriechische Geschichte über den König von Ithaka, der auf dem Rückweg von Troja unterschiedliche Abenteuer durchlebt: Er kämpf mit einem Zyklopen, wird fast verzaubert, gefressen, verführt und am Ende für einen Bettler gehalten.
Ist es möglich, dass eine der bekanntesten Geschichten der abendländischen Kultur keine Kohärenz hat? Oder doch?
Denn so verschieden die Episoden auch sind, alle finden während der Heimreise des Odysseus nach Ithaka statt. Er bewegt sich immer wieder mit seinem Schiff durch das Mittelmeer und verfolgt von Anfang bis Ende eine einzige Mission: die Rückkehr zu seiner Frau Penelope. Es gibt ihn also, den roten Faden. Und ganz gewiss auch in deinem Leben. Es muss keine Einheitlichkeit vom ersten Atemzug zum heutigen Tag herrschen, sondern kann eine lose Klammer sein.
Wenn ich mich selbst als Beispiel nehme, muss ich zugeben, dass ich oft ins Straucheln gekommen bin, wenn ich erzählt habe, wie ich als Literaturwissenschaftlerin zu einer Tätigkeit in der Industrie kam – noch dazu in einem hoch technologisierten Zweig. Vor Kurzem ging mir durch den Kopf, dass ich diese beiden Seiten meiner Persönlichkeit, die technische und die künstlerische zu meinem roten Faden machen könnte und mich als ein hybrides Konstrukt präsentieren kann. Diese Storyline kann ich noch vertiefen, wenn ich Bezug auf meine Eltern nehme – meine Mutter: sprachlich begabt mit naturwissenschaftlichem Studienabschluss, mein Vater: technisch versiert, mit humanistischer Schulbildung. Beide Seiten waren immer da. Beide Seiten trage ich in mir und kann daher problemlos erklären, wie ich als Literaturwissenschaftlicherin zur Marketing Managerin in der Industrie wurde.
Und damit kann ich wunderbar zum nächsten Punkt überleiten: der persönlichen Note.
2. Die Perspektive: Keine Scheu vor persönlichem Erzählen
Es ist nie zu spät, um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen und mit alten Angewohnheiten abzuschließen. Wir neigen oft dazu, unsere Neigungen und Interessen im Berufskontext immer rein professionell zu begründen. So entstehen Aussagen wie: „Im Produktmanagement hat mich immer begeistert, gestaltend tätig zu sein.“ Aber in unserer Zeit, in der Work-Life-Balance großgeschrieben wird und die Gen Z nicht um private Ziele verlegen ist, dürfen wir mehr unsere persönliche Note einbringen.

Vielleicht ist das Produktmanagement in der Steuer- und Regeltechnik so interessant, weil man schon lange vor Smart Home privat an einem automatischen Gartentor-Öffner geschraubt hat, oder? Schon hat die Geschichte mehr Tiefe. Und ebenso finde ich es legitim, z.B. die Prägung durch meine Eltern zu erwähnen. Oder wie seht ihr das? Seht ihr persönliches Stories als Tabu? Schreibt mir gerne eure Meinung auf LinkedIn. Und bleibt in eurer Erzählung bei den Themen, die ihr gerne preisgeben wollt, und richtet eure persönliche Note auch danach aus, für wie offen oder konservativ ihr das Gegenüber einschätzt.
3. Die Hauptfigur: Sei der Held in deiner Geschichte und kein Statist
Kommen wir noch einmal zu unserem Superhelden der Antike, Odysseus. Was macht ihn so heldenhaft? Zwar wird sein Schicksal immer wieder von Göttern beeinflusst, aber am Ende lenkt Odysseus immer wieder ein, um seinen Weg fortzusetzen. Er arbeitet mit vielen Tricks wie der Selbst-Fesselung am Schiffsmast, um sich vor der unwiderstehlichen Anziehung der Sirenen zu schützen. Seine cleveren Manöver bringen ihm den Beinamen „der Listenreiche“ ein. In diesem Sinne ist er keineswegs höheren Mächten ausgeliefert, sondern handelt aktiv.
Eine gute Story bedeutet, dass wir die eigene Geschichte als Aufgabe wahrnehmen.
Mir ist bei mir selbst aufgefallen, dass ich oft zu bescheiden bin, um meine eingeschlagenen Wege als meine eigenen Entscheidungen darzustellen – z.B. die Entscheidung, eine Doktorarbeit zu schreiben oder danach das Kapitel Universität zu schließen und in die Wirtschaft zu wechseln. Ich habe dann oft so etwas wie „hat sich ergeben“ oder „wurde mir ermöglicht“ gefaselt. Nachträglich verstehe ich nicht, wieso ich den eigenen inneren Antrieb, der mich zu all dem brachte, unter den Tisch fallen ließ.

Denn es ist deshalb so wichtig, als Gestalter*innen unserer Entwicklung zu wirken, weil wir damit zeigen, dass wir an unserer eigenen Geschichte interessiert sind. Natürlich hat jede*r mal spontane Bauchentscheidungen getroffen, musste sich äußeren Einflüssen beugen oder hat glückliche Zufälle erlebt. Es ist auch kein Problem, das so zu benennen. Traut euch zu sagen: „Ich habe einige Jahre mit einem Job verbracht, bei dem ich später erkannte, dass er nicht zu mir passte.“ Was ich eher vermeiden würde, wäre, sich selber rein passiv darzustellen (à la „hat sich ergeben“), weil es schlussendlich ein gewisses Desinteresse an euch selbst signalisiert.
Und wenn wir uns selbst nicht für unsere einzigartige Geschichte interessieren, wie sollen wir andere davon überzeugen?
4. Die Pointe: Humor ist erlaubt, wenn er passend platziert wird
Der letzte Punkt ist mir ein Herzensanliegen: Humor. Denn ich bin überzeugt davon, dass Humor nicht nur unser Leben schöner macht, sondern auch Charisma erzeugt. Und ich habe schon oft Menschen zugehört, die ihre Geschichte mit selbstironischen Kommentaren untermalt haben, wie: „In der Schule war Mathe mein Problemfach. Daher wurde ich Bilanzprüfer. Denn mit Fehlern kannte ich mich aus und würde sie in Berechnungen sofort erkennen.“ Wenn eine solche Pointe mit einer gewissen Souveränität eingebaut wird, kann sie sehr gut funktionieren.

Es ist dabei jedoch wichtig, nicht zu vergessen, dass Sinn für Humor sehr individuell sein kann und von kultureller und sozialer Prägung abhängt. Je besser man sein Gegenüber einschätzen kann, desto zielsicherer kann man die passende Dosis Humor finden. Welche Erfahrungen habt ihr mit Humor im Berufskontext gemacht? Habt ihr damit Erfolge erlebt oder seid ihr auch schon mal ins Fettnäpfchen getreten?
Und hiermit bin ich nun auch am Ende meiner Reise durch die vier Tipps zum autobiografischen Erzählen angelangt. Ich bin selber gespannt, wie ich sie in Zukunft umsetzen werde. Und ich bin auf euer Feedback gespannt. Was haltet ihr von den Tricks und Methoden und welche anderen würdet ihr ergänzen? Lasst mich eure Meinung auf LinkedIn wissen.
* Nicole Mahne: Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung, Göttingen (2007), S. 23-24.
** Ann Rigney: The Point of Stories: On Narrative Communication and Its Cognitive Functions, in: Poetics Today (1992), Bd. 13(2), S. 263–283, hier S. 267 JSTOR, https://doi.org/10.2307/1772533 (aufgerufen am 5.7.2025).
